Viel ist in den letzten Tagen von den enormen Unwetterschäden an den beiden Westbahnstrecken die Rede. Die Hochgeschwindigkeits-Strecke zwischen Wien und St. Pölten übers Tullnerfeld soll wegen der durch das Hochwasser zerstörten Elektronik über Monate, manche sprechen gar von bis zu zwei Jahren, unbenutzbar sein. Auch die alte Westbahnstrecke ist wegen Vermurungen vorerst nur eingleisig in Betrieb.
Untragbare Situation für Fahrgäste medial kaum erwähnt
Was in den Medien leider kaum Erwähnung findet, ist das Chaos, mit dem Bahnbenutzer und Pendler auch fast zwei Wochen nach den Unwettern noch immer konfrontiert sind. Angekündigte Züge kommen nicht, Abfahr- und Ankunftszeiten im ÖBB-Fahrplansystem „Scotty“ stimmen nicht mit den tatsächlichen Zeiten der Ersatz-Busse überein, Wartezeiten von zwei Stunden sind keine Seltenheit.
ÖBB-„Scotty“ gibt falsche Abfahrtszeiten an
Unzensuriert-Lokalaugenschein am Bahnhof Wien-Hütteldorf gestern Donnerstag zu Mittag. Da nur alle Stunden ein Zug Richtung St. Pölten fährt und die Schnellbahn S50 komplett eingestellt wurde, haben die ÖBB einen Schienenersatzverkehr mit Bussen eingerichtet. Wir konsultieren „Scotty“ und erfahren, dass die nächsten Busse um 12.05 und um 12.35 Uhr abfahren. Allerdings halten in Hütteldorf diverse Buslinien. Hinweise zum Schienenersatz-Bus suchen wir vergeblich. Wir fragen schließlich einen herumstehenden Herrn in legerer Alltagskleidung (rotes Leiberl, Jeans), der sich tatsächlich als Busfahrer entpuppt.
„Was in Scotty steht, stimmt net“, verrät er uns und zeigt auf ein provisorisches Schild, auf dem ganz andere Zeiten angegeben sind – nämlich 12.14 und 12.44 Uhr. Wer Anschlusszeiten anderer Linien berücksichtigen muss, ist mit solchen Zeitangaben aufgeschmissen.
Zwei Stunden Wartezeit auf Heimfahrt
Wir treffen einen Jugendlichen aus Altlengbach, der in Wien-Neubau die Maturaklasse eines Gymnasiums besucht. Entnervt verrät er uns, dass er schon zwei Stunden auf den Zug Richtung Altlengbach wartet und jetzt seine Mutter angerufen hat, die ihn mit dem Auto abholt. Bereits das dritte Mal in dieser Woche. “Und nirgends eine Information, wann es endlich weitergeht. Die lassen uns deppert sterben”, so der junge Mann. Mit dem Auto beträgt die Fahrzeit nach Altlengbach nicht einmal eine halbe Stunde.
Suche nach Haltestellen der Schienenersatz-Busse
Zu den Stoßzeiten sind die Busse des Schienenersatzverkehrs dermaßen überfüllt, dass man kaum hineinkommt. Eigentlich müssten in diesen Zeiten alle zehn Minuten solche Busse fahren, um den Bedarf zu decken – tun sie aber nicht, weil den ÖBB zu wenige Buslenker zur Verfügung stehen. Wie uns eine Dame verrät, sind auch die Haltestellen der Busse entlang der Strecke oft ganz woanders als die gewohnte Bahnstation, „und die müssen’s einmal finden. Denn wo die sind, erfährt man nur an den Bahnstationen. Als zuerst zum Bahnhof gehen und dann weiter zur provisorischen Bus-Haltestelle. Lauter leere Kilometer. Und dann noch die unsicheren Abfahrtszeiten“, beklagt sich die ältere Dame.
Parkhaus Hütteldorf hoffnungslos überfüllt
Wen wundert’s, dass jeder, der kann, mit dem Auto nach Wien fährt, was wiederum dazu geführt hat, dass das Parkhaus Hütteldorf täglich schon in der Früh hoffnungslos überfüllt ist. Schon bei der Einfahrt steht ein Wachmann, der nur noch Dauerparker einlässt, alle anderen werden abgewiesen. Parkplätze im Bezirk rundherum gibt es dank des Wiener Parkpickerl-Systems auch keine mehr – ein Teufelskreis. Die ÖBB versprechen ab 10. Oktober eine Besserung, denn da soll dann das zweite Gleis wieder befahrbar sein. Bis dahin empfiehlt sich für Schüler und Pendler am besten ein Urlaub.
Mikl-Leitner empört über Versagen der ÖBB
Einen geharnischten Protest richtete heute, Freitag, Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner Richtung Bundesbahnen: Diese würden es sich zu leicht machen. Das Land Niederösterreich habe die Leistungen der ÖBB über den Verkehrsdienstevertrag bestellt und bezahlt. Deshalb sei es die Aufgabe der ÖBB, für einen entsprechenden Ersatz zu sorgen. Das zweite Schienengleis auf der alten Westbahn ab Oktober werde zwar für Erleichterung sorgen, aber davon würden die Bewohner des Tullnerfeldes nicht profitieren, und auch die Pendler müssten nach wie vor auf ein verringertes Angebot zurückgreifen – wenn es kein deutlich aufgestocktes Bus-Angebot der ÖBB gebe, so Mikl-Leitner.