In Österreich war es bisher immer Usance, dass die stimmenstärkste Partei der Nationalratswahl auch den Regierungsauftrag bekommt. Das steht so sogar in der “Demokratiewerkstatt” des Parlaments festgeschrieben, in der Jugendlichen Politik nahegebracht wird.
Bundespräsident muss Wahlausgang berücksichtigen
Ganz konkret gibt es bei der Frage, wieso es nach der Nationalratswahl eine neue Bundesregierung gibt, wenn gar nicht die Bundesregierung gewählt wird, folgende Antwort:
Einzig der Bundespräsident kann eine Bundesregierung ernennen. Dabei muss er den Wahlausgang berücksichtigen: Er erteilt der Partei, die bei der Wahl am meisten Stimmen erhalten (hat), den Auftrag, eine Regierung zu bilden.
Abgekartetes Spiel
Was in der “Demokratiewerkstatt” des Parlaments den Jugendlichen vermittelt wird, sieht in der Realpolitik ganz anders aus. Zumindest seit gestern, Dienstag, als Alexander Van der Bellen nicht dem klaren Wahlsieger Herbert Kickl von der FPÖ den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt hat, sondern dem Zweitplatzierten Karl Nehammer von der ÖVP.
Viele vermuten in der Handlung des Bundespräsidenten ein abgekartetes Spiel. Österreich-Chefredakteur Niki Fellner drückte es diplomatischer aus:
Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat gestern offiziell gemacht, was er anscheinend ohnehin längst geplant hatte.
Eigenwillige Auslegung der Demokratie
Um den Wahlsieger Herbert Kickl zu verhindern, musste Van der Bellen einen demokratiepolitisch bedenklichen Vorgang wählen. Über diese eigenwillige Auslegung unserer Demokratie werden sich auch die Besucher der “Demokratiewerkstatt” im Parlament in Zukunft wundern. Vielleicht stellt sich am Ende sogar heraus, dass das ganze Theater in der Hofburg nur dazu diente, die ehemaligen Parteifreunde des Bundespräsidenten, die Grünen, als dritten Partner neben ÖVP und SPÖ nochmals in die Regierung zu hieven.