In Österreich gehen die Wogen hoch, nachdem Bundespräsident Alexander Van der Bellen gestern, Dienstag, nicht dem Chef der stimmenstärksten Partei, Herbert Kickl, sondern dem Zweitplatzierten der Nationalratswahl, Karl Nehammer, den Auftrag zur Regierungsbildung gegeben hat.
Dass Van der Bellen Kickl übergeht, sei nicht nur ein strategischer Fehler. Es sei vor allem demokratiepolitisch bedenklich, schreibt Österreich-Chefredakteur Niki Fellner heute, Mittwoch, in seinem Kommentar „VdB hat neuer Koalition Bärendienst erwiesen“. Heute-Herausgeberin Eva Dichand, nicht gerade als Freundin der Freiheitlichen bekannt, bezeichnete das Verhalten des Bundespräsidenten sogar als „eigenwillige Auslegung unserer Demokratie“. Sie fordert gleiches Recht und gleiche Chancen für alle demokratisch gewählten Parteien.
52 Prozent halten VdB-Entscheidung für “Frechheit”
Dichand meinte, dass die Entscheidung Van der Bellens sowohl im Heute-Forum als auch unter den Social-Media-Postings die Wogen hochgehen ließ. Anscheinend rege das Thema doch mehr Menschen auf, als vielleicht angenommen. Die Heute-Leser antworteten auf die Frage, wie sie die Entscheidung des Bundespräsidenten fänden, zu 52 Prozent mit „Frechheit“ (Stand 23. Oktober, 10.00 Uhr).
Koalition mit dem linksten SPÖ-Vorsitzenden seit Jahrzehnten
Auch im Kommentar von Oliver Pink in der Tageszeitung Die Presse gibt es Kritik am Bundespräsidenten. „74 Prozent haben Nehammer nicht gewählt“, schrieb Pink analog zur verqueren Logik der Kickl-Verhinderer. Außerdem fragte er sich, wie eine Koalition zwischen der ÖVP und der SPÖ mit dem linksten SPÖ-Vorsitzenden sei Jahrzehnten funktionieren solle?
Van der Bellen hat einen “Fehler” gemacht
Heftige Kritik am Staatsoberhaupt kommt aber auch aus einer Ecke, aus der man diese kaum vermutet hätte. Der steirische Landeshauptmann Christopher Drexler (ÖVP) sagte am Dienstag in der “ZIB2”, er halte es für falsch, dass der Bundespräsident nicht den Vertreter der stimmenstärksten Partei mit einem Regierungsbildungsauftrag ausstattet. Es sei unverantwortlich, die FPÖ so schnell aus der Verantwortung zu lassen. Van der Bellen habe einen “Fehler” gemacht.
Zittern vor der Steiermark-Wahl
Man merkte ihm förmlich die Angst vor der steirischen Landtagswahl in wenigen Wochen an, bei der die Wähler Rache an der Ausgrenzung Herbert Kickls nehmen könnten. Selber schuld: Nehammer hätte nur aus seinem Schmollwinkel herauskommen und wie ein Staatsmann zum Wohle der Österreicher handeln, den Wahlsieg der Freiheitlichen anerkennen und eine Regierung mit Kickl als Kanzler bilden müssen.