Am 8. August hätte sie ihren 320. Geburtstag gefeiert – die Wiener Zeitung. Doch das wird sie nicht mehr feiern können, denn die schwarz-grüne Bundesregierung hat in seltener Einigkeit die Einstellung der bis jetzt ältesten Tageszeitung der Welt beschlossen und im Nationalrat durchgeboxt. Heute, Freitag, ist die letzte und besonders umfangreiche Ausgabe erschienen, in der die Redaktion mit viel Wehmut Abschied von den Lesern nimmt. Vorerst für immer.
Gegründet 14 Jahre vor der Geburt Maria Theresias
Gegründet hatte die Zeitung Prinz Eugen von Savoyen im Jahr 1703, nur 20 Jahre nach der letzten Türkenbelagerung und fast 14 Jahre vor der Geburt Maria Theresias, unter dem Titel „Wiennerisches Diarium“. Seither ist sie fast durchgehend erschienen – lediglich während des Zweiten Weltkriegs gab es eine vierjährige Pause. Als Herausgeber fungierte in den letzten Jahrzehnten das Bundeskanzleramt und damit die Republik Österreich.
Finanzierungs-Grundlage ersatzlos abgeschafft
Finanziert wurde das Blatt über Pflichteinschaltungen aus Wirtschaft, Ministerien und Ämtern, von Firmengründungen, Konkursen über Ausschreibungen bis zu Gesetzesblättern, im beiliegenden “Amtsblatt”. Dafür durfte es den normalen Inseraten-Markt, sehr zur Freude der Konkurrenz, nicht beackern. Genau diese Art der Finanzierung wurde nun gesetzlich abgeschafft, ohne auch nur den Versuch zu starten, Alternativen zu finden.
Medienministerin mit schwachen Argumenten
Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) hatte die Abschaffung wenig überzeugend damit argumentiert, dass „die Leser der Wiener Zeitung alle über 90 sind“ und dass dort „200 Leute für nur 8.000 Leser arbeiten“. Zahlen, die alle keiner seriösen Überprüfung standhalten. Raab erklärte das Aus für die gedruckte Tageszeitung auch damit, dass „die Zukunft im Bewegtbild liegt“ – mit diesem Argument könnte man in letzter Konsequenz gleich die Schrift abschaffen.
16,5 Millionen Euro für Online-“Wiederauferstehung” und “Media Hub”
Paradox: Für die Wiener Zeitung soll weiterhin ein Budget von 16,5 Millionen Euro im Jahr zur Verfügung stehen – was zeigt, dass das Finanz-Argument zur Abschaffung der gedruckten Zeitung Unfug war. Was damit genau geschehen soll, ist nicht ganz klar. So wird es ab morgen, Samstag, einen neuen Online-Auftritt geben (online war die Wiener Zeitung aber auch schon bisher), daneben soll etwa zehnmal jährlich ein Print-Produkt erscheinen. Was dort wie drinstehen soll, ist nicht bekannt, die Mannschaft wurde allerdings radikal geschrumpft.
Und dann ist auch noch ein „Media Hub“ geplant, eine Art Lehrredaktion für den Journalisten-Nachwuchs, für die 6 der 16,5 Millionen budgetiert sind. Kritiker bemängeln, dass es nicht Aufgabe des Bundeskanzleramtes sein kann, junge Journalisten auszubilden, das sollten wohl besser die Zeitungen tun, wie schon bisher.
Welle der Solidarität nutzte im Endeffekt nichts
Nach Bekanntwerden der Abschaffungs-Pläne für die Tageszeitung im Vorjahr war eine Welle der Solidarität angerollt. Überparteiliche Plattformen aus Kultur, Medien, Politik und Wirtschaft hatten sich für den Erhalt der gedruckten Wiener Zeitung eingesetzt, SPÖ, FPÖ und Neos hatten die Einstellung ebenfalls beklagt, konnten im Nationalrat allerdings nichts ausrichten. Raab und die grüne Mediensprecherin Eva Blimlinger ließen sich weder von Protesten noch von Argumenten beeindrucken.
63 Kündigungen, auch “Herold”-Druckerei sperrt zu
Insgesamt 63 Mitarbeiter (davon 35 aus der Redaktion) verlieren mit dem heutigen Tag ihren Job. 20 Mitarbeiter wurden aus dem alten Bestand für die neuen redaktionellen Aufgaben übernommen – also ein massiver Personal-Abbau. Und nicht nur das: Auch die traditionsreiche Druckerei Herold in Wien Landstraße, auch sie besteht seit 130 Jahren, muss zusperren, nachdem mit der Wiener Zeitung nun der letzte Großkunde ausfällt. Rund 140 Mitarbeiter verlieren dort ihre Arbeit.
Nur noch 13 Tageszeitungen in Österreich
Mit der Einstellung der Wiener Zeitung schrumpft die Zahl der Tageszeitungen in Österreich auf 13. Den Titel als älteste Tageszeitung Österreichs übernimmt Die Presse. Sie erschien erstmals 1848 und feiert demnächst ihr 175-jähriges Bestehen. International ist ab morgen, Samstag, die Hildesheimer Allgemeine Zeitung “neue” älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt. Die erste Ausgabe der deutschen Zeitung kam am 24. Juni 1705 auf den Markt und damit mehr als ein Jahr später als die Wiener Zeitung.
Schwarz-Grün hat sich zweifelhaftes Denkmal geschaffen
Was schmerzt, ist, dass sich trotz der zahlreichen prominenten Solidaritätskundgebungen letztlich niemand fand, der die gedruckte Wiener Zeitung privat weiterführen wollte, kein Mateschitz, kein Haselsteiner, kein Benko. Offensichtlich wollte niemand das Risiko eingehen, am derzeit massiv schwächelnden Medienmarkt zu scheitern. Der schwarz-grünen Regierung ist anzulasten, eines der bedeutendsten und traditionsreichsten Kulturgüter, über die Österreich verfügt hat, ohne Not und ohne wirklich nachvollziehbare Begründung einfach eingestampft zu haben. Ein weiterer Sargnagel am Weg zur unerbittlich näherkommenden nächsten Nationalratswahl.