Als „Medienalbanien“ musste sich Österreich lange Jahre beschimpfen lassen. Grund: Das ORF-Monopol, das so gar nicht in die Meinungs- und Pressefreiheit der westlichen Länder passte. Im November 1993 dann der Paukenschlag aus Straßburg: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte Österreich wegen des Verstoßes gegen die Menschenrechtskonvention. Daraufhin wurden 1996 andere Fernsehseh- und Rundfunksender zugelassen. Mit 1. August 2001 trat das Privat-TV-Gesetz in Kraft.
Jahrelanger Rechtsstreit
Was viele nicht wissen: Dass es heute Privatsender in Österreich gibt, ist zu einem großen Teil dem früheren FPÖ-Chef Jörg Haider zu verdanken, der mit seinem damaligen Anwalt und späteren überparteilichen Justizminister Dieter Böhmdorfer das ORF-Monopol zu Fall brachte. In einem Gespräch mit unzensuriert schildert Böhmdorfer, wie Haider und er den jahrelangen Rechtsstreit gewinnen konnten.
Unzensuriert: Warum war es Jörg Haider so wichtig, das ORF-Monopol zu beenden?
Böhmdorfer: Die berechtigten und sachlichen Angriffe auf den ORF bezüglich objektiver Berichterstattung hatten nicht gefruchtet. Das System war so erstarrt und gegen jede Form von berechtigter Kritik gewappnet, dass wir nach einer Möglichkeit gesucht haben, auch andere Sender in Österreich zulassen zu können. Das war in den 1980er und frühen 1990er-Jahren nur beschränkt möglich. So hatte man zum Beispiel in Tarvis in Italien einen Sender aufgestellt und auch in Preßburg – aber es war beschämend, dass man aus dem Ausland Nachrichten aus Österreich für Österreich verbreiten musste. Jörg Haider hat dann versucht, in Österreich einen Sender zu installieren, doch die österreichischen Behörden hatten ihm gleich angekündigt, ihm dies zu verwehren. Mit dieser Begründung haben wir in Straßburg basierend auf Artikel 10 der Menschenrechtskonvention, also dem Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit, einen Antrag gestellt. Dort waren schon Verfahren anhängig, diese sind aber nicht so massiv betrieben worden wie von uns. Schließlich hat der Gerichtshof entschieden, dass das ORF-Monopol verfassungswidrig ist. Das war dann der Startschuss für die Privatsender.
Richter waren erstaunt, dass es so etwas überhaupt noch gibt
Was war der entscheidende Punkt für dieses Urteil?
Böhmdorfer: Wir haben einerseits wissenschaftlich argumentiert, da gibt es eine umfangreiche Literatur dazu, und in der Verhandlung selbst haben wir genau diesen Umstand betont, dass man, um Österreich medial zu versorgen, Sender rund um das Staatsgebiet aufstellen musste. Da waren vor allem der norwegische, der finnische und schwedische Richter erstaunt darüber, dass es so etwas in Europa überhaupt noch gibt. Und es war irgendwie spürbar, dass dieses Argument, obwohl es nicht nur juristisch, sondern auch politisch war, der Durchbruch gewesen ist zur Meinungsbildung der zehn Richter, denen wir gegenüber gesessen sind.
Resistent gegen jede Form von Veränderung
Das Monopol ist weg, trotzdem hat man nicht wirklich den Eindruck, dass sich der ORF geändert hat.
Böhmdorfer: Ja, das ist das Problem. Der ORF ist weiterhin sehr resistent gegen jede Form von Erneuerung, Veränderung, Öffnung, vor allem gegen eine wirkliche Objektivität, so wie es die Österreicher gerne hätten. Ich bin der Meinung, dass man davon Gebrauch machen muss, sich an die KommAustria zu wenden. Das ist jene Behörde, die überprüft, ob das Objektivitätsgebot vom ORF eingehalten wird. Da gibt es zwei große Zugänge. Erstens kann man meine Individual-Beschwerde einbringen, wenn man selbst betroffen ist. Zweitens gibt es die Möglichkeit einer sogenannten Popular-Beschwerde. Das heißt: Wenn man mindestens 120 Unterstützungserklärungen beilegen kann, die mit dieser Beschwerde einverstanden sind, dann kann man alle Rechtswidrigkeiten des ORF vor dieser Behörde geltend machen. Die KommAustria ist natürlich von Regierungsseite besetzt – man soll kein Vorwegmisstrauen aussprechen, aber da gibt es eine faktische Abhängigkeit. Sollte man dort nicht zum Erfolg kommen, gibt es ein Rechtsmittel beim Bundesverwaltungs- und Verfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Rechtliche Methoden gegen Hartnäckigkeit des ORF
Wie reagieren die betroffenen Journalisten auf eine Beschwerde?
Böhmdorfer: Meiner Erfahrung nach reagieren sie völlig unberührt, wenn man sie darauf aufmerksam macht, dass sie gegen das Objektivitätsgebot verstoßen haben. Es ist aber ganz etwas anderes, wenn ein Verfahren angestrengt wird und sie müssen sich intern rechtfertigen. Im ORF wissen ohnehin viele, was rechtswidrig, was rechtmäßig ist. Solche Verfahren sind insofern nicht angenehm, als sich der Journalist rechtfertigen muss, warum er diese Objektivitätsgebotsverletzung begangen hat. Und ich glaube, dass angesichts der Hartnäckigkeit des ORF ein Zustand erreicht ist, dass man wieder rechtliche Methoden aktivieren sollte.
Falsche Gewichtung von Ereignissen ist wahres Problem des ORF
In Ihrer Rede als Preisträger des Dinghofer-Symposiums haben Sie im Zusammenhang mit der Berichterstattung im ORF das Wort „Dimensionsverzerrung“ verwendet. Sie sagten, Falschnachrichten kann man mit Gegenbeweisen widerlegen, doch die „Dimensionsverzerrung“ sei das wahre Problem.
Böhmdorfer: Die Dimensionsverzerrung ist ein Begriff aus der medienrechtlichen Judikatur. Das heißt: Ich kann dadurch, dass ich Fakten übertrieben gewichte, oder besonders gering gewichte, die Bedeutung dieser Fakten verzerren. Objektiv wäre es und verfassungskonform, sie richtig zu gewichten. Ich kann zum Beispiel den Umstand, dass der Parlamentspräsident beim jüdischen Denkmal keinen Kranz niederlegen konnte, so berichten, dass man sagt, na gut, er hat sich einer friedlichen Menschenmauer beugen müssen. So ist es halt in Österreich, so ist es halt in einer Demokratie. Das halte ich für eine absolut falsche Gewichtung, weil der Parlamentspräsident ist einer der wichtigsten Organe in unserem Staat. Es gibt in unserem Staat Behörden, die sein Verhalten zu überprüfen haben, aber niemand ist in Österreich Hochkommissar in Sachen Gedenkveranstaltungen, niemand darf uns außerhalb der politischen Instanzen überzogen belehren. Man kann das natürlich kritisieren, aber man sollte es meines Erachtens schon richtig gewichten, dass Studenten, auch wenn sie glauben, idealistisch zu handeln, ein oberstes Staatsorgan an seiner Pflichterfüllung hindern und vor allem auch an einer gut gemeinten Pflichterfüllung. Es ist für mich auch so bedeutend dieses Ereignis, weil das gemeinsame Gedenken an den Holocaust aller Österreicher in unserer Demokratie einen Identitätsstiftenden Charakter hat. Und mich stört es, dass auch noch so eine kleine Gruppe glaubt, handeln zu müssen, um sich gegen diese gemeinsame Identitätsstiftung zu wehren.