Bei einem Blick auf die Wahlprogramme der FPÖ und der ÖVP zur Nationalratswahl 2024 fällt auf, dass es einige Überschneidungen in der Zielsetzung gibt, wobei die ÖVP in manchen Punkten offensichtlich von der FPÖ inspiriert wurde. Es gibt jedoch auch erhebliche Unterschiede, insbesondere in den Bereichen direkte Demokratie, Migration und die Haltung zur Europäischen Union.
Gemeinsamkeiten und mögliche „Abschriften“:
- Bildungspflicht statt Schulpflicht: Die Idee der „Bildungspflicht statt Schulpflicht“ war ein zentraler Vorschlag der FPÖ, der eine Abkehr vom bloßen „Absitzen“ von Schuljahren hin zur Verpflichtung auf das Erreichen von Bildungszielen fordert. Dieses Konzept findet sich auch im aktuellen Wahlprogramm der ÖVP, obwohl diese noch im Frühjahr von ÖVP-Bildungssprecher Rudolf Taschner als “Schnapsidee” bezeichnet worden war.
- Bürokratieabbau und Wirtschaftsförderung: Sowohl die FPÖ als auch die ÖVP betonen die Notwendigkeit des Abbaus übermäßiger Bürokratie. Die FPÖ fordert seit Jahren einen schlankeren Staat mit weniger Regulierung, und die ÖVP hat diesen Ansatz in ihr Programm integriert. In beiden Programmen finden sich Vorschläge zur Reduktion der Bürokratie, die den Unternehmen in Österreich mehr Freiräume geben sollen. Die Forderung nach „Sunset-Klauseln“ in der Gesetzgebung, um Gesetze regelmäßig zu überprüfen und gegebenenfalls abzuschaffen, ist auch ein Punkt, der in beiden Programmen Erwähnung findet.
- Förderung der beruflichen Bildung: Ein weiterer Punkt, in dem sich beide Parteien ähneln, ist die Stärkung der beruflichen Bildung und die Förderung der Lehrlingsausbildung. Die FPÖ setzt sich hier für eine Integration des Polytechnikums in eine vierjährige Lehrlingsausbildung ein und fordert eine enge Verzahnung zwischen Schulen und der Berufspraxis sowie eine fünfjährige Mittelschule für Gewerbe und Handwerk. Auch die ÖVP hat ähnliche Konzepte, die darauf abzielen, die berufliche Ausbildung zu modernisieren und die Verbindung zwischen Schule und Beruf zu stärken.
Relevante Unterschiede:
- Direkte Demokratie: Ein zentraler Unterschied besteht in der Frage der direkten Demokratie. Die FPÖ fordert seit Jahren eine deutliche Stärkung der direkten Demokratie einschließlich der Möglichkeit, dass Volksbegehren, die genügend Unterschriften erreichen, automatisch zu einer verpflichtenden Volksabstimmung führen sollen. Diese Forderung findet sich nicht im Programm der ÖVP. Während die FPÖ damit für mehr direkte Bürgerbeteiligung plädiert, setzt die ÖVP weiterhin auf repräsentative Demokratie und sieht keine Ausweitung direktdemokratischer Instrumente vor.
- Migration und Asyl: Ein weiterer großer Unterschied liegt in der Migrationspolitik. Die FPÖ fordert einen konsequenten Stopp vor allem illegaler Einwanderung und möchte den Fokus auf „Remigration“ legen, also die Rückführung von Migranten in ihre Herkunftsländer. Die ÖVP hingegen setzt auf eine kontrollierte Einwanderung von Arbeitskräften und die Reduzierung illegaler Migration. Hier zeigt sich ein deutlicher Unterschied in der Herangehensweise beider Parteien an dieses Thema.
- Haltung zur EU: Während die FPÖ die Kompetenzverteilung zwischen Österreich und der EU scharf kritisiert und mehr nationale Souveränität fordert, bleibt die ÖVP ein klarer Verfechter der Europäischen Union. Die ÖVP setzt auf eine aktive Rolle Österreichs in der EU und betont die Wichtigkeit internationaler Partnerschaften.
Unterschiede in entscheidenden Bereichen
Während die ÖVP in einigen Punkten – wie der Bildungspflicht und dem Abbau von Bürokratie – Ansätze der FPÖ übernommen hat, gibt es vor allem in zentralen Fragen wie der direkten Demokratie, Migration und der Haltung zur EU nach wie vor signifikante Unterschiede. Die FPÖ bleibt der Verfechter einer stärkeren Bürgerbeteiligung und einer restriktiven Migrationspolitik, während die ÖVP einen gemäßigteren und pro-europäischen Kurs verfolgt.
Eine Frage der Glaubwürdigkeit
Eine berechtigte Frage ist nicht zuletzt, warum die ÖVP etliche Pläne, die sie nun vorgibt, umsetzen zu wollen, wenn sie wiedergewählt wird, nicht schon längst realisiert hat. Vor allem im Bereich Wirtschaft, Inflation und Migration hat sie in den letzten fünf Jahren und auch davor kläglich versagt.