Familie von Herbert Fritz im Urlaub

Familienfoto im Urlaub: Die beiden Töchter, Sigrid Kappl (links) und Gudrun Egger, mit ihren Kindern und ihrem Vater Herbert Fritz.

14. Dezember 2023 / 11:12 Uhr

„Helft ihm doch! – Ihr könnt’ meinen Vater doch nicht einfach sterben lassen!“

Gefahr in Verzug! Seit 19. Mai, als Herbert Fritz (84) von Schergen des Taliban-Regimes in Kabul, Afghanistan, mit einer Kapuze über den Kopf verschleppt wurde, sitzt der Österreicher als politische Geisel in einem Guantanamo ähnlichen Gefängnis. Ohne Anklage, ohne Verfahren, ohne Verurteilung. Seine Tochter, Sigrid Kappl, bemüht sich um die Freilassung ihres Vaters. Unzensuriert traf sie zum Interview.

“Es versetzt mir jedes Mal einen Stich ins Herz”

Unzensuriert: Was macht es mit Ihnen, wenn Ihr Vater vom Standard– Schreiber Markus Sulzbacher als „Rechtsextremist“ und von der grünen Nationalratsabgeordneten Eva Blimlinger als „Neonazi-Kamerad“ bezeichnet wird?

Sigrid Kappl: Es versetzt mir jedes Mal einen Stich ins Herz. Zum einen, weil ich viele Facetten meines Vaters kenne. Auch die, die ehrliches Interesse an unterschiedlichen Kulturen, Menschen und Sichtweisen hat. Als Kinder sind wir viel mit ihm gereist. Ich habe nie erlebt, dass mein Vater sich jemals respektlos verhalten hat gegenüber jemanden mit einer anderen Einstellung, einer anderen Religion oder anderen kulturellen Gepflogenheiten. Er hat auch immer versucht, die Sprache des Landes zu lernen, bevor wir dort auf Urlaub waren, damit er den Menschen gegenüber dadurch Respekt zeigt und durch Gespräche auch mehr über sie erfahren kann.

Vor allem ist er aber mein Vater, der auch versucht, so lange wie möglich am Leben seiner Kinder, Enkelkinder und der Urenkelin teilzunehmen. Daher waren wir vergangenes Jahr auch wieder gemeinsam auf Urlaub. Er kümmert sich auch liebevoll um meinen behinderten Bruder, der momentan sehr darunter leidet, dass sein Vater ihn nicht besucht.

Diese, von Ihnen angesprochene Beschreibung versetzt mir aber auch deswegen einen Stich ins Herz, weil damit suggeriert wird, dass man ihm vielleicht gar nicht helfen soll.

“Ich stehe hier als Tochter, die darum kämpft, dass ihr Vater wieder nach Hause kommt”

Unzensuriert: Was hat Herbert Fritz getan, dass er von den beiden derart verunglimpft wird?

Sigrid Kappl: Mein Vater war in seinen jungen Jahren politisch aktiv und seine politischen Anschauungen haben wahrscheinlich sehr wenig Überschneidungen zu denen von Frau Blimlinger und Herrn Sulzbacher. Das ist kein Geheimnis. Das möchte ich aber auch gar nicht bewerten oder kommentieren. Ich bin kein politischer Mensch und habe bisher immer versucht, mich möglichst weit von politischen Themen entfernt aufzuhalten. Ich stehe hier als Tochter, die darum kämpft, dass ihr Vater wieder nach Hause kommt. Eines noch: Mein Vater hat jahrzehntelang als Lehrer gearbeitet. In der Handelsakademie ist seine politische Vergangenheit offiziell durchleuchtet worden, um mögliche Interessenskonflikte festzustellen. Zeit meines Lebens ist mein Vater nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Natürlich schmerzt mich diese extreme Schubladisierung als Tochter.

DÖW-Chef Weidinger kritisiert Inhaftierung ohne fairen Prozess

Unzensuriert: Sulzbacher und Blimlinger wird es gar nicht gefallen, dass Ihr Vater ungewohnte Unterstützung vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) bekommt. Deren Chef, Bernhard Weidinger, sagte gegenüber der Online-Plattform Endstation Rechts.: “So weit entfernt man Fritz weltanschaulich sein mag, und so ironisch seine Inhaftierung im ihm zufolge sicheren Afghanistan auch ist: Niemand sollte ohne fairen Prozess im Gefängnis sitzen, schon gar nicht in einem der Taliban, und schon gar nicht gesundheitlich beeinträchtigte, alte Menschen”.

Sigrid Kappl: Es hat mich sehr gefreut, als ich das gelesen habe. Es steht zwar in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, dass jeder die gleichen Rechte und Freiheiten hat, ohne irgendeinen Unterschied wie zum Beispiel der politischen Anschauung, aber diese Stellungnahme finde ich sehr großmütig und zutiefst menschlich. Ich bin dankbar, wenn politisch Andersdenkende sich dafür aussprechen, dass man meinem Vater helfen sollte. Die Frage sollte ja gar nicht sein, ob man ihm trotz oder wegen seiner politischen Anschauung hilft.

“Es geht schließlich um ein Menschenleben”

Unzensuriert: Einige meinen auch, dass Ihr Vater selbst schuld ist, dass er jetzt im Gefängnis sitzt, weil es für Afghanistan ja eine Reisewarnung gibt.

Sigrid Kappl: Das stimmt. Es gibt eine Reisewarnung für Afghanistan. Auf der gleichen Stufe befinden sich momentan 14 andere Länder. Manche davon werden von Wien direkt angeflogen.
 Mein Vater ist auch nicht der einzige Österreicher, der zu diesem Zeitpunkt nach Kabul geflogen ist. Geschweige denn der einzige Europäer. Es gibt einige Reisende: aus privaten Gründen, aus humanitären Gründen oder aus journalistischen Beweggründen – wie mein Vater, der an einem Buch über Afghanistan geschrieben hat. Ich bezweifle, dass bei jemand anderem der Aufschrei auch so groß gewesen wäre.
 Ich will das jetzt aber gar nicht weg argumentieren.

Aber stellen Sie sich vor, dass ein Skifahrer abseits der Piste in eine Lawine gerät und die öffentliche Meinung sagt: Selbst schuld; wir schicken keine Hilfe…. Das wäre undenkbar. Es geht schließlich um ein Menschenleben.

Mein Vater ist jetzt fast schon sieben Monate in dieser ausweglosen Situation. Ich hoffe, dass aus dem „selbst schuld“ ein „helft ihm doch“ wird. Was ist denn die Alternative? Meinen Vater dort einfach sterben zu lassen?

“Es gab ein einziges Telefonat von vier Minuten”

Unzensuriert: Wann hatten Sie den letzten Kontakt zu Ihrem Vater und was hat er da gesagt?

Sigrid Kappl: Es gab in der ganzen Zeit ein einziges Telefonat. Das war am 24. September für vier Minuten. Mein Vater hat eigentlich geklungen wie immer – sogar zuversichtlich. Man hatte ihm offensichtlich zugesagt, dass er bald freikommen würde. Er hat mich gebeten, das Außenministerium zu kontaktieren und um Hilfe zu bitten. Er wusste ja nicht, was wir bisher schon alles unternommen hatten. Er dachte wohl, dass er mit dieser Unterstützung bald freikommen würde. Er brauchte einen neuen Pass.

Er hat gesagt, dass sein Hörgerät kaputt ist – ohne dem er taub werden könnte. Außerdem hat er gebeten, dass wir ihm seine dringend notwendigen Medikamente wie die Blutverdünner aufgrund seines Lungeninfarkts schicken. Als ich ihm gesagt habe, dass wir diese bis dahin schon drei Mal geschickt hatten, war er sichtlich schockiert.

Mein Vater war allerdings nicht allein während dieses Telefonats und wurde bereits nach zwei Minuten dazu gedrängt, wieder aufzulegen.

Was mich besonders berührt hat, war, dass er sich nach unserem Familienurlaub erkundigt hat, den wir wieder gemeinsam im Juli machen wollten. Wie Sie sich vorstellen können, war das besonders traurig für die ganze Familie. Mein Vater hat sich auch erkundigt, ob alle Kinder das Schuljahr gut abgeschlossen haben.

Unzensuriert: Was unternehmen Sie, dass Ihr Vater freikommt und wer unterstützt Sie dabei?

Sigrid Kappl: Wir stehen seit Beginn mit dem Außenministerium in Kontakt, das uns konsularisch unterstützt. Selbstverständlich haben wir auch direkten Kontakt zu afghanischen Behörden und Entscheidungsträgern aufgenommen, um dort um die Freilassung zu bitten.

Lange Zeit waren wir zuversichtlich, dass dies ausreicht. Viele Menschen – auch Kontakte in Afghanistan – haben uns gesagt, dass mein Vater sicher bald freikommt, da er sich nichts zu Schulden kommen hat lassen. Ein Foto am Handy (von einem Oppositionsführer in Afghanistan, Anm. d. R.) sei kein ausreichender Anklagepunkt – auch nicht in Afghanistan.

Nach einiger Zeit bekamen wir dann Unterstützung vom Nationalratsabgeordneten Martin Graf, der meinen Vater persönlich kennt und seine Kontakte genutzt und Gespräche geführt hat.

Aufgrund der dermaßen negativen medialen Berichterstattung zu Beginn haben wir darüber hinaus lange die Füße still gehalten.

Als der Zellengenosse meines Vaters, ein Brite, freigekommen ist, hat er uns dringend empfohlen, alles zu unternehmen, was uns als Familie möglich ist und überall um Hilfe zu bitten. Die Informationen über die dortige Situation und den Gesundheitszustand meines Vaters waren alarmierend. Er hat sehr positiv über meinen Vater gesprochen und daher auch seine volle Unterstützung angeboten.

Seitdem haben wir eine – eigentlich zwei – Unterschriftpetitionen erstellt; wir haben Briefe geschrieben: an den Bundespräsidenten, an das Außenministerium, an die Mitglieder des Menschenrechtsausschusses und der Präsidiale – überall bitten wir nicht mehr nur um konsularische Unterstützung, sondern um politische und diplomatische.

Wir sind bereits vereinzelt an die Medien gegangen, um auch dort um Unterstützung zu bitten und zu sagen: Egal welche politische Vergangenheit oder Gesinnung mein Vater hat – er ist ein Mensch und braucht jetzt Hilfe.

Wir haben bereits zwei Mahnwachen abgehalten. Bei einer hatten wir das Glück, dem Bundespräsidenten persönlich einen offenen Brief überreichen zu können. Am Dienstag, 19. Dezember, folgt die nächste Mahnwache auf dem Ballhausplatz in Wien. Wir organisieren diese immer gemeinsam mit Frau Weber, die um ihren Sohn kämpft, der im Iran verschleppt und eingesperrt wurde. Wir unterstützen uns gegenseitig in dieser schwierigen Zeit.

Und seit Kurzem gibt es die neue Facebook-Seite „Freiheit für Herbert Fritz“. Hier werden wir aktuelle Artikel und Neuigkeiten posten.

Petitionen zur Freilassung unterschreiben

Unter dem Link https://www.openpetition.eu/at/petition/online/freiheit-fuer-herbert-fritz können Sie für die Freilassung von Herbert Fitz unterschreiben.

Und unter diesem Link https://www.openpetition.eu/at/petition/online/befreiung-fuer-christian-weber für die Freilassung von Christian Weber.

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