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Rechtsansicht - Susanne Fürst

Susanne Fürst analysiert die Aussagen des Kanzlers in der Corona-Krise: Soviel Bundeskanzler wie möglich, aber auch so wenig Kritik, Fakten, Rechtfertigung und Diskussion wie möglich.

19. April 2020 / 10:51 Uhr

Also sprach der Kanzler: Wer nicht meiner Meinung ist, ist dumm!

Bundeskanzler Sebastian Kurz spricht in klaren, leicht verständlichen und kurzen Sätzen. Er weckt im Zuhörer das Gefühl, dass er sich seiner Sache ganz sicher ist und seine Aussagen widerspruchsfrei, logisch und unwiderlegbar sind. Er macht das für uns schon alles; wir können und sollen uns nur zurücklehnen.

Kommentar von Dr. Susanne Fürst

Da die Zeiten, in denen seine Aussagen von Journalisten kritisch hinterfragt werden, vorbei sein dürften, muss man sich selbst die Zeit nehmen, diese zu überdenken und zu analysieren. Dabei zeigt sich, dass Kurz unter dem Deckmantel von tatsächlichen Erfordernissen im Umgang mit dem Coronavirus zunehmend ungeniert einen erschreckenden Hang zur Anmaßung und zur Zertrümmerung von fachlichen Autoritäten und liberalen Werten offenbart: Das wichtigste Opfer dabei ist unser aller Meinungsfreiheit!

„Wer das so sagt, der argumentiert dumm!“

Blicken wir auf einige seiner Aussagen in den vergangenen Wochen. Zur Frage der Verhältnismäßigkeit der verhängten Maßnahmen angesichts des Vergleichs mit der jährlichen Grippewelle in der ZiB2 am 6.4.2020:

Ich führe gern jede sachliche Diskussion. Aber wer das so sagt, der argumentiert einfach dumm. Ich habe mich schon Anfang des Jahres darüber geärgert, dass viele das Corona-Virus mit der Grippe verglichen haben. Ich glaube, dass dieser Vergleich falsch ist und man kann das mittlerweile belegen. Ich habe Gott sei Dank den Experten nicht geglaubt, die Covid-19 mit der Grippe verglichen oder Masken für unwirksam erklärt haben.

Kurz präsentiert sich, als wäre er ein erfahrener Mediziner

Man beachte: Der Bundeskanzler führt gerne sachliche Diskussionen, aber wer nicht seiner Meinung ist, der argumentiert dumm(!). Tatsache ist, dass es über die Entstehung, Verbreitung und Gefährlichkeit des Coronavirus die unterschiedlichsten Auffassungen gibt. Das ist bei Auftauchen eines bisher unbekannten Phänomens auch nicht verwunderlich, da es wenige gesicherte Fakten und keine Erfahrungswerte gibt. Die Bundesregierung entschied sich im März für den Glauben an das Worst-Case-Szenario und handelte demgemäß mit dem Shutdown. Sie verriet uns nicht, welchen Virologen und sonstigen einschlägigen Experten sie folgte, sondern Bundeskanzler Kurz übernahm die Deutungs- und Informationshoheit. Er schlüpfte zunehmend in die Rolle des erfahrenen Mediziners, der sich ärgert, dass das Virus mit der herkömmlichen Grippe verglichen werde, obwohl er doch schon Anfang des Jahres gemeint habe, das könne man nicht vergleichen. Es sei doch ärgerlich, dass es da noch aufmüpfige, medizinisch erfahrene Bürger gebe, die sich erdreisteten, anderer Meinung zu sein und – noch schlimmer – dieses Abweichlertum auch äußern wollten.

Tatsächlich gibt es nach wie vor sehr viele anerkannte Ärzte und Virologen, welche Vergleiche mit der Grippe ziehen, andere Mediziner wiederum weisen dies zurück. Es ist vollkommen legitim, dass die Bundesregierung sich für eine Sicht der Dinge entschied; das musste sie. Es ist jedoch absolut nicht legitim, die „Abweichler“ als Beschwichtiger, Verharmloser und letztlich als dumme Menschen hinzustellen. Es handelt sich hier um viele, äußerst renommierte Mediziner und keineswegs um selbsternannte Experten, die es in solchen Zeiten natürlich auch gibt. Diese Sprache des Bundeskanzlers ist vielmehr schwach, intolerant und erschreckend undemokratisch!

Was sagte Kurz tatsächlich am Anfang des Jahres?

Das führt uns zu der Frage: Wie lange dauert eigentlich der „Anfang des Jahres“? Für mich etwa bis Mitte Februar. In der ZiB vom 30. Jänner – das war der Tag der Ausrufung des weltweiten Gesundheitsnotstands durch die WHO – hielt Sebastian Kurz den Vergleich zwischen Grippe und Corona noch nicht für dumm. Er äußerte sich dazu nicht. Aus dem Gesundheitsministerium seines grünen Koalitionspartners kam die Meldung, „man habe alles unter Kontrolle, man habe alle notwendigen Schritte gesetzt und sei bestens vorbereitet.“ Was genau man machte und welche Maßnahmen man setzte, wurde nicht verraten.

Ende Jänner hatten Russland und mehrere Nachbarstaaten von China bereits ihre Grenzen geschlossen und Flüge aus China blockiert. Gerade die von Bundeskanzler Kurz gern zitierten ostasiatischen Länder Hongkong, Taiwan, Japan, Südkorea und Singapur hatten zu diesem Zeitpunkt schon umfassende Maßnahmen gesetzt. Aber auch Ungarn bestellte schon medizinische Schutzbekleidung und bereitete die Krankenhäuser auf das Virus vor, obwohl noch lange kein Infizierter auftauchte. Diese Maßnahmen haben wir in Österreich allerdings nicht gesetzt, es sei denn, die Bundesregierung hat dies geheim veranlasst (was auszuschließen ist; es hätte mit Sicherheit eine Pressekonferenz gegeben!).

„Nicht mit Schutzmasken herumlaufen, die gar nicht schützen!“

Auch im ZIB2-Studio vom 27. Februar (Ende Februar!) empörte sich der Bundeskanzler nicht über den Vergleich von Grippe und Coronavirus. Zu diesem Zeitpunkt gab es die ersten fünf positiv getesteten Fälle in Österreich (die beiden Italiener in Innsbruck und drei Wiener). Kurz stellte zutreffend fest, dass man die Ausbreitung verhindern wolle, dass die Entwicklung sehr schwer vorhersagbar sei und das Wichtigste sei, keine Panik zu schüren. Man solle nicht „mit Schutzmasken herumlaufen, die einen gar nicht schützen können“ (vgl. oben die Aussage vom 6.4., er habe Gott sei Dank den Experten nicht geglaubt, welche Masken für unwirksam erklärt hätten). Die wichtigsten drei Maßnahmen seien: Reisewarnungen ernst nehmen; Selbstbeobachtung von Einreisenden; bei Symptomen Hotline anrufen und nicht zum Arzt gehen. Dann komme jemand zum Testen.

Bis Ende Februar waren Grippe-Corona-Vergleiche noch nicht dumm

Zum Thema Grippe führte der Bundeskanzler aus, dass Corona zur Grippe hinzukomme. Die Corona-Krankheit würde bei fast allen mild verlaufen; bei älteren Personen gebe es eine etwas höhere Sterblichkeit. Kein Wort davon, dass man die Grippe und das Virus nicht miteinander vergleichen könne, sondern – im Gegenteil – zog er selbst einen direkten Vergleich. Bis Ende Februar galt man noch nicht als ignoranter, dummer Vollidiot, wenn man das Corona-Virus mit der Grippe verglich.

Auch der Leiter der Infektiologie an der Universität Innsbruck, Univ.-Prof. Günter Weiss, durfte zwei Tage vorher in der ZiB2 am 25. Februar noch unbehelligt einen Vergleich zur Grippe ziehen, ohne als Fake-News-Verbreiter bezeichnet zu werden. Er äußerte fachlich seriös, dass man einfach noch nichts Genaues wisse, es seien unbekannte Szenarien. Die meisten Betroffenen hätten einen milden Verlauf, doch die Zahlen aus China machten Angst. Die Risikogruppe – Ältere und Personen mit Vorerkrankungen – sei mit derjenigen der Grippe ident.

Anschober Ende Februar: Grenzschließung nur „politische Aktion“

In derselben Sendung wie Prof. Weiss trat Minister Anschober auf; gerade aus Rom vom Gipfel der Gesundheitsminister zurückgekehrt. Er berichtete, dass man in Rom die dramatische Entwicklung in Italien – insbesondere den Herd in der Lombardei – besprochen habe. Man sei übereingekommen, dass man „keine Reisebeschränkungen für Menschen aus Italien“ möchte. Das mache keinen Sinn und wäre nur eine „politische Aktion“, was er, Anschober, nicht wolle. Dass immer noch Flüge aus Peking in Wien landen, sei „vertretbar“; man mache hier Fiebermessungen am Flughafen, die aber nicht viel brächten, da die Inkubationszeit so lange dauere. Er setze, so Anschober, auf Information der Bevölkerung, Vorsorge und Vorgehen bei Symptomen (Hotline anrufen, Testen bloß bei Verdacht und Isolation bei Erkrankung). Auf die Frage, mit wie vielen Fällen zu rechnen sei: „Wissen wir nicht.“

Warum handelte der so früh wissende Kanzler so spät?

Hiermit stellen sich folgende Fragen: Wenn unser Herr Bundeskanzler bereits Anfang des Jahres über das Corona-Virus vollkommen im Bilde war, wieso gab es zu diesem Zeitpunkt nicht schon schärfere Maßnahmen? Wieso behielt er sein Wissen für sich und entschied sich Ende Februar noch für eine sehr moderate Gangart? Wieso setzte er nicht bereits die Maßnahmen der Länder, auf die er sich neuerdings stets bezieht (Südkorea, Taiwan, China, Singapur, Japan). Diese machten tatsächlich „Anfang des Jahres“ längst Massentestungen, führten eine umfassende Schutzmaskenpflicht ein und isolierten die Infizierten. Wieso ließ Bundeskanzler Kurz nicht wenigstens die Grenzen schließen, obwohl klar war, dass es sich um ein eingeschlepptes Virus handelt?

Die FPÖ forderte als erste in Person von Bundesparteiobmann Norbert Hofer und Klubobmann Herbert Kickl am 25. und 26. Februar strikte Grenzkontrollen zu Italien und Quarantänemaßnahmen – dies wurde natürlich als rechtspopulistische Maßnahme abgetan. Mit dem Allwissen des Bundeskanzlers – bereits Anfang des Jahres – wäre ein viel früheres Reagieren in entscheidenden Punkten (Grenzen schließen, medizinische Aufrüstung, Maßnahmen in den Alten- und Pflegeheimen, frühere Maskenvorschriften) doch naheliegend gewesen. Zudem hätten diese Maßnahmen niemandem wirklich weh getan und hätten keinen wirtschaftlichen Schaden angerichtet.

Auf Meinungsschwenk folgt Attacke auf Experten

Und zuletzt: Warum änderte er seine Meinung zur Maskenpflicht (wie auch später zu den Massentests) so radikal? Ich darf festhalten, dass ich dem Bundeskanzler nicht vorwerfe, seine Meinung geändert zu haben. Mein Vorwurf besteht darin, dass er einerseits im Interview am 6. April. Experten lächerlich macht, welche die weitgehende Unwirksamkeit der Masken vertreten und andererseits selbst Ende Februar noch von panikverbreitenden Masken sprach, die nicht schützten.

Der Kanzler kann sich nicht erinnern…

Weiter im selben Interview in der ZIB2 am 6. April:

Ich kann mich nicht erinnern, dass bei der Grippe so viele Menschen Spitalsbehandlung oder Beatmung gebraucht haben, dass Intensiv-Kapazitäten je nicht mehr gereicht hätten.

Aha! Der Bundeskanzler kann sich angesichts seines langen Lebens (inklusive jahrzehntelanger Erfahrung im Arztberuf?!) nicht erinnern, dass bei der jährlichen Grippesaison jemals so viele im Krankenhaus waren oder dass die Kapazitäten eng wurden. In welchem Krankenhaus war er tätig? Hier seien nur drei – wahllos aus unzähligen Artikeln ausgewählte – Zeitungsmeldungen aus den vergangenen Jahren wiedergegeben:

  • Die Presse berichtet am 23. Februar 2012: Wiens Spitäler überfüllt. Grippewelle und Durchfallerkrankungen sorgen derzeit für Engpässe in Spitälern; nicht akute Operationen werden verschoben, Patienten auf dem Gang behandelt. Es wird von einer Situation berichtet, wie es sie in den vergangenen 30 Jahren nicht gegeben hat. Die Spitäler sind an ihrer Kapazitätsgrenze.
  • Der Kurier berichtet am 3. Februar 2015: Grippewelle hat Österreich voll erfasst. In einer Woche gab es 11.000 Neuerkrankungen in Wien. Es herrscht sehr starke Grippewelle mit vielen schweren Krankheitsverläufen, vor allem bei Über-65-jährigen, aber auch bei kleinen Kindern. 44 Prozent der im AKH stationär aufgenommenen Patienten mussten auf einer Intensivstation betreut werden. Die Zahl der Spitalsaufnahmen ist stark angestiegen. Kurzfristig könne es zur Überbelegung von Stationen kommen. Man tue, was man könne.
  • orf.at schreibt am 13. Jänner 2017: Grippewelle hat Österreich fest im Griff. Schwere Komplikationen durch Virustyp A(H3N2). In Wien kamen allein in der letzten Woche 19.700 Erkrankungen hinzu, eine neuer Rekordwert. Die Ärztekammer macht die Sozialversicherung für die wegen der Grippewelle aufgetretenen Engpässe im Gesundheitswesen verantwortlich. Die Misere besteht in langen Wartezeiten bei den Ärzten, überlastete Ambulanzen und Gangbetten in Spitälern. Die Krankenhäuser sind im Moment zum Teil überfüllt.

Solche Meldungen ließen sich noch zu Hunderten aufzählen; nicht nur in und für Österreich, sondern auch in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und in Nordamerika. Nicht berücksichtigt sind auch die Berichte über die verheerende Grippewelle in der Saison 2017/2018, welche unzählige Krankenhäuser an die Grenze der Belastbarkeit bzw. weit darüber hinaus brachte; ganz abgesehen von den vielen schweren und tödlichen Verläufen, welche reihenweise Intensivkapazitäten in Anspruch nahmen.

Des Kanzlers Dogma strotzt vor Selbstherrlichkeit

Diese Fakten muss der Bundeskanzler als Nicht-Mediziner selbstverständlich nicht kennen. Aber er hätte sich im Zuge der Gesundheitskrise um das Corona-Virus und bei der Einschätzung der vorhandenen Kapazitäten erkundigen können – oder zu dieser Frage schweigen und einem Fachmann die Einschätzung überlassen.

Das Dogma des Bundeskanzlers – das Corona-Virus sei mit der Grippe nicht vergleichbar und jeder der dies tue, argumentiere dumm und sei ein Beschwichtiger und Verharmloser – strotzt zusammenfassend vor Widersprüchlichkeiten, Faktenferne und Selbstherrlichkeit.

Dr. Susanne Fürst ist Rechtsanwältin und seit 2017 Nationalratsabgeordnete der FPÖ. Im Freiheitlichen Parlamentsklub ist sie Obmannstellvertreterin und für die Bereiche Verfassung, Menschenrechte und Geschäftsordnung verantwortlich. Fürst schreibt für unzensuriert regelmäßig die Kolumne „Rechtsansicht“.

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