Mit der Auslieferung des ÖVP-Nationalratsabgeordneten Wolfgang Gerstl an die Justiz, die am Freitag einstimmig von allen Parteien – also auch von den Schwarzen – beschlossen wurde, könnte die Kanzlerpartei einen ihrer profiliertesten Politiker und Verfassungssprecher elegant loswerden.
POLITISCHE ANZEIGE des FREIHEITLICHEN PARLAMENTSKLUBS. Weitere Informationen: Transparenzbekanntmachung
Verbotenerweise Wähler kontaktiert
Die Vorwürfe gegen Gerstl sind durchaus pikant: Wie berichtet, wirft ihm die Staatsanwaltschaft Wien „Wählerdaten-Missbrauch“ vor. Der ÖVP-Abgeordnete soll einige Wochen vor der Wien-Wahl am 27. April 2025 verbotenerweise Wähler kontaktiert haben, die Unterstützungserklärungen für die Liste „Fair“ abgegeben hatten. Ihre Kontaktdaten erlangte er als Mitglied der Wahlbehörde für den 14. Bezirk in Wien, wo die Liste „Fair“, die sich von der ÖVP abgespalten hatte, antrat. Gerstl steht damit im Verdacht, das Amtsgeheimnis gebrochen zu haben. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Stromrechnung führte zur Spaltung der Partei
Brisant: FPÖ-Abgeordneter Norbert Nemeth machte mit seiner Rede im Parlament auf die Vorgeschichte des mutmaßlichen Skandals aufmerksam. Dass nämlich Mandatare der ÖVP in Wien-Penzing die Partei verlassen und die Liste „Fair“ gegründet hatten, hängt mit einer Stromrechnung zusammen. Nemeth wies auf den Standard-Artikel „Wilder Streit in Penzinger ÖVP um Stromzähler, Untermieter und Listenerstellung“ vom 23. April 2025 hin, in dem behauptet wurde, dass die ÖVP im 14. Bezirk unter Obmann Wolfgang Gerstl einem Untermieter ihres Parteilokals die Stromrechnung komplett weiterverrechnet habe, also auch die Rechnung der ÖVP. Der Standard wusste darüber Bescheid, handelte es sich bei diesem Untermieter doch um den Ehemann einer freien Mitarbeiterin des rosaroten Blattes.
FPÖ-Abgeordneter Norbert Nemeth machte in seiner Parlaments-Rede auf die brisante Vorgeschichte des mutmaßlichen Wählerdaten-Missbrauchs durch ÖVP-Mandatar Wolfgang Gerstl aufmerksam.
Staatsanwaltschaft will Gerstl bestrafen
Dass die ÖVP einem Untermieter jahrelang die Elektrizitätskosten des Parteilokals umgehängt haben soll, verärgerte einige Mitglieder so sehr, dass sie die Liste „Fair“ gründeten und bei der Wien-Wahl antraten. Gerstl soll daraufhin versucht haben, die „Verräter“ über die Wahlbehörde, wo er Mitglied ist, zu kontaktieren und sie wieder „umzudrehen“. Die Staatsanwaltschaft nennt das „Wählerdaten-Missbrauch“ und will den ÖVP-Nationalratsabgeordneten dafür bestrafen.
Gerstl sitzt auch in der Bundeswahl-Behörde
Interessantes Detail am Rande: Gerstl ist auch Mitglied der Bundeswahl-Behörde. FPÖ-Abgeordneter Nemeth forderte die ÖVP daher auf, ihren Mandatar bis zur Klärung der Affäre um den „Wählerdaten-Missbrauch“ von diesem Gremium abzuziehen. Tue sie das nicht, sei sie unglaubwürdig, denn Gerstl selbst forderte im September 2023 in einer Aussendung den Ausschluss des – inzwischen verstorbenen – FPÖ-Politiker Johannes Hübner aus der Bundeswahl-Behörde. Als Grund dafür nannte Gerstl damals den Besuch Hübners in Afghanistan.




