Die vorgespielte Harmonie zwischen ÖVP-Kanzler Christian Stocker und seinem SPÖ-Vize Andreas Babler bekommt die ersten Risse. Grund ist der Wunsch der ÖVP, die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) zu ändern, um straffällige Asylberechtigte abschieben zu können.
Stocker als Kickl-Kopierer
„Stocker ohne Genierer als Kickl-Kopierer“ – das haben wir am 24. Mai geschrieben, als bekannt wurde, dass neun europäische Staats- und Regierungschefs einen Brief an die EU gesandt hatten. Inhalt: Eine Änderung der EMRK sollte Ländern die Möglichkeit geben, straffällig gewordene Asylberechtigte in ihre Herkunftsländer abzuschieben. Auch ÖVP-Kanzler Stocker hat diesen Brief unterzeichnet.
Das Recht muss der Politik folgen
Stocker forderte also nichts anderes als Herbert Kickl im Jahr 2019 – damals Innenminister. Er meinte:
Das Recht muss der Politik folgen, nicht die Politik dem Recht.
Vom Bundespräsidenten abwärts hagelte es Kritik an Kickl. ÖVP-Spitzenpolitiker machten klar, dass man an der EMRK nicht rütteln könne, es wäre die Aufkündigung des Grundkonsenses der Zweiten Republik.
Der Bundespräsident schweigt
Als Stocker nun das Gleiche forderte wie Kickl schon 2019 war es seltsam still. Weder Alexander Van der Bellen, noch ÖVP-Funktionäre gaben Wortspenden ab. Es dauerte Tage, bis die SPÖ darauf reagierte. Aber nicht ihr Chef, Andreas Babler, traute sich in den Ring, sondern die Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses im Parlament, Petra Bayr (SPÖ).
“Vorstoß sehr problematisch”
Gegenüber der APA meinte sie:
Ich finde den Vorstoß sehr problematisch, weil er in letzter Konsequenz die Glaubwürdigkeit von Höchstgerichten unterminiert.
Die Europäische Menschenrechtskonvention, betonte Bayr, sei der „Grundbaustein der Menschenrechtsgesetzgebung“. Die Auslegung der Konvention „ist den Gerichten, speziell dem EGMR, vorbehalten“, unterstrich sie.
Es war zu erwarten. Beim ersten kleinen Versuch der ÖVP in Richtung restriktiver Asylpolitik bremst die SPÖ, die offenbar nicht einmal Bereitschaft zeigt, straffällige Menschen, die bei uns Schutz auf Zeit haben, in ihre Herkunftsländer abschieben zu wollen.