Das durchgesickerte 223 Seiten starke Protokoll aus den Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP offenbart die unterschiedlichen Positionen in der Südtirol-Frage.
Mehr Schein als Sein
Die ÖVP, die nicht müde wird, in Sonntagsreden auf die Verbundenheit mit den Südtirolern hinzuweisen, und deren Schwesterpartei Südtiroler Volkspartei (SVP) den Landeshauptmann in Bozen stellt, will sich nicht für die Doppelstaatsbürgerschaft der einstigen Landsleute einsetzen.
Der Schlüssel dazu liegt nämlich einzig in Wien. Die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft ist ein souveräner Akt Österreichs, und Italien hat kein Mitbestimmungsrecht. Rom hat seinen Minderheiten in Slowenien und Kroatien die italienische Staatsbürgerschaft verliehen und Laibach bzw. Agram keine Einmischung gestattet.
Kein „Begräbnis dritter Klasse“ mehr
Deshalb hatte die FPÖ das Ziel der angestammten Staatsbürgerschaft für die Tiroler jenseits des Brenner bereits 2017 im Regierungsprogramm verankert. Doch schon damals kam das Aus der schwarz-blauen Regierung, noch ehe sich die ÖVP positionieren musste.
Acht Jahre später sehen die Mehrheitsverhältnisse so aus, dass die FPÖ Druck und Tempo machen kann. Folglich reicht ein schwarzes Lippenbekenntnis nicht mehr, und die ÖVP rudert schon in den Regierungsverhandlungen zurück.
Klares Nein überführt schwarze Sonntagsreden
Mit einem klaren Nein will sie das Engagement für die Doppelstaatsbürgerschaft in der nächsten Regierungsperiode verhindern, laut Neuer Südtiroler Tageszeitung in Absprache mit der Schwesterpartei SVP. Aus Bozen hat sich die ÖVP auch die Ausrede geholt: In Südtirol gebe es keine Zustimmung für die Doppelstaatsbürgerschaft.
Schwäche der Volksparteien diesseits und jenseits des Brenners
Vergessen, dass sich die SVP im Jahr 2012 auf der Landesversammlung einstimmig für die angestammte Staatsbürgerschaft ausgesprochen hatte. Vergessen, dass im Dezember 2019, also kurz bevor die Corona-Politik alles zudeckte, eine hochrangige Delegation aus Bozen 1.000 Unterschriften für die doppelte Staatsbürgerschaft in Wien überreicht hatte. Dafür führt man eine Umfrage ebenfalls aus 2019 an, wonach nur 25 Prozent der Südtiroler die Doppelstaatsbürgerschaft befürworteten. SVP-Landeshauptmann Arno Kompatscher fürchtet sich auch vor Rom und sieht gar die Autonomie gefährdet – und offenbart damit nur seine Schwäche.