Georgien steht nach den jüngsten Wahlen vor einer potenziellen Neuausrichtung: Die Regierungspartei Georgischer Traum hat gestern, Samstag, mit 54 Prozent der Stimmen die Wahl für sich entschieden. Sie zeigt zunehmend Moskau-freundliche Tendenzen und distanziert sich gleichzeitig von der Europäischen Union.
Warum eine Annäherung an Russland attraktiv sein könnte
Aus Sicht des Wahlsiegers wäre eine Partnerschaft mit Russland nicht nur strategisch, sondern auch wirtschaftlich vorteilhaft. In den vergangenen Jahren hat die europäische Integration Georgien einige wirtschaftliche Fortschritte gebracht, doch im Vergleich zu den wirtschaftlichen Abhängigkeiten, die die EU durch hohe Standards und Bedingungen für Georgien mit sich bringt, erscheint eine engere Partnerschaft mit Russland als flexibler.
Weniger Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten
Russland ist ein bedeutender Absatzmarkt für georgische Produkte und durch eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit könnte Georgien Exportbarrieren umgehen, die westliche Märkte erschweren.
Russland, so das Argument, biete zudem den Vorteil, weniger Einfluss auf die Innenpolitik und die gesellschaftlichen Werte Georgiens, Stichwort gendern, sexuelle Vielfalt, kulturelle Identität auszuüben. In prorussischen Kreisen ist die Sorge groß, dass die EU von ihren Partnerstaaten kulturelle und politische Anpassungen verlangt, die die traditionellen Werte Georgiens in Gefahr bringen könnten.
Sicherheit und Stabilität als Argument
Auch im Kontext des Kriegs in der Ukraine, der wirtschaftlichen Folgen und des zunehmenden Misstrauens gegenüber westlichen Institutionen erscheinen die Argumente zugunsten einer russlandfreundlichen Ausrichtung gewichtiger.
Die Regierung betont, dass Georgien durch eine zu große Annäherung an den Westen Gefahr läuft, in einen geopolitischen Konflikt zwischen der NATO und Russland zu geraten. Eine Partnerschaft mit Russland hingegen könne Georgien vor Instabilität schützen, da Russland potenzielle Angriffe oder destabilisierende Aktivitäten der NATO oder anderer Staaten in der Region verhindern könnte. Auch die politischen Kräfte innerhalb Georgiens, die von einer militärischen Auseinandersetzung Abstand halten wollen, sehen in der Zusammenarbeit mit Moskau eine Möglichkeit, künftige Konflikte zu vermeiden.
Historische Verbundenheit als Brücke nach Russland
Historisch gesehen pflegt Georgien trotz gelegentlicher Spannungen seit Jahrhunderten enge Beziehungen zu Russland, und viele in der älteren Generation fühlen sich diesen traditionellen Verflechtungen verbunden. Während die Sowjetzeit viele Wunden hinterlassen hat, ist Russland für Teile der Bevölkerung immer noch kulturell, sprachlich und religiös näher als die innereuropäischen Staaten.
Aus dieser Sicht ist die europäische Integration ein Projekt, das viele als vom Westen diktiert und für Georgien unpassend empfinden.
Viel EU-Geld – aber unter ungeliebten Bedingungen
Die EU hat zwar in der Vergangenheit erhebliche finanzielle Mittel bereitgestellt und den Demokratisierungsprozess in Georgien gefördert, aber aus prorussischer Sicht hat der Beitrittsprozess oft endlose Bedingungen und bürokratische Hindernisse mit sich gebracht. Außerdem führt die EU regelmäßige “Menschenrechtsaudits” durch, was als Einmischung in die nationale Souveränität kritisiert und für die georgische Kultur als unpassend empfunden wird. Russland hingegen betont offiziell das Prinzip der Nichteinmischung und bietet, so die prorussischen Argumente, eine stabilere Basis, auf der Georgien seine Politik eigenständig gestalten könnte.