Bereits kurz nach Beginn des Krieges zwischen Russland und der Ukraine hätte Frieden herrschen können – das sollen zumindest Dokumente belegen, die der Welt am Sonntag vorliegen.
Ukrainische Erfolge zwangen Russland zum Umdenken
Schon wenige Wochen nach Beginn des russischen Einmarsches und kurzfristigen militärischen Erfolgen der Ukraine wie der Verteidigung der Hauptstadt Kiew wurde bis zum 15. April 2022 ein umfangreicher Vertragsentwurf ausgearbeitet, in dem Moskau und Kiew Bedingungen für ein Ende des Krieges verhandelten. Die wenigen noch offenen Streitpunkte sollten dann schließlich zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem ukrainischen Staatschef Wolodomyr Selenskyj ausgehandelt werden.
Kein Nato-Beitritt und keine Atomwaffen für Ukraine
Die Dokumente sollen belegen, dass Moskau der ukrainischen Regierung sogar an einigen Stellen weit entgegenkam und die russische Führung von ihren Maximalforderungen abrückte. Die Bedingungen lauteten, dass sich die Ukraine zu einer “permanenten Neutralität” verpflichten und damit auf einen Beitritt zum Verteidigungsbündnis Nato verzichten sollte, während ein EU-Beitritt weiterhin möglich gewesen wäre. Außerdem erklärte die Ukraine, weiterhin niemals Atomwaffen “zu erhalten, produzieren oder zu erwerben”, außerdem hätte das Land keine ausländischen militärischen Truppen auf seinem Gebiet dulden dürfen. Zudem hätte die Ukraine seine militärische Infrastruktur inklusive Seehäfen niemandem zur Verfügung stellen und keine Militärübungen mit ausländischer Beteiligung zulassen dürfen. Auch eine Beteiligung der Ukraine selbst an militärischen Auseinandersetzungen wäre nicht erlaubt gewesen.
Russland akzeptierte internationale Sicherheitsgarantien
Im Gegenzug wollte Russland auf einen weiteren Angriff auf ukrainisches Staatsgebiet verzichten und erklärte sich sogar bereit, Sicherheitsgarantien vom Vereinigten Königreich, den USA, China, aber auch von Russland selbst (also den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates) zu akzeptieren.
Diese Garantien bedeuteten, dass diese Staaten im Verteidigungsfall der Ukraine innerhalb von drei Tagen militärisch beistehen müssten. Das wäre auch ein erheblicher Fortschritt gegenüber dem Budapester Memorandum aus dem Jahr 1994 gewesen – hier gab es zwar vollmundige Erklärungen, aber keine Verpflichtung zur militärischen Unterstützung der Ukraine.
Weitere Verhandlungen in Istanbul
Kiew hatte zudem unter Vermittlung des türkischen Präsidenten Recep Erdogan mit Russland verhandelt. Das Kommuniqué beinhaltete unter anderem eine Ausnahme von Kiew und Sewastopol von den Sicherheitsgarantien, was wohl eine faktische Kontrolle Russlands über das Gebiet bedeutet hätte.
Die Unterhändler aus Kiew bestanden zudem darauf, die Grenzziehung ihres Staates selbst verhandeln zu können, Moskau wollte dazu einen Gipfel zwischen Putin und Selenskyj einberufen. Zudem forderten die Russen, dass alle Garantiestaaten, also auch Russland selbst, den Garantien gegenüber der Ukraine zustimmen müssten, womit Russland theoretisch ein Veto-Recht gegen die Vereinbarung gehabt hätte. Die Garantiestaaten hätten nach russischem Willen in der Ukraine im Angriffsfall keine Flugverbotszone errichten dürfen.
Demilitarisierung der Ukraine als Streitpunkt
Das lang erklärte russische Ziel der Demilitarisierung war ebenfalls Teil der Dokumente: Russland wollte der Ukraine maximal 85.000 eigene Soldaten zugestehen, der ukrainische Vorschlag beinhaltete bis zu 250.000 aktive Soldaten.
Frieden scheiterte an nachträglichen Forderungen
Nach dem Gipfel in Istanbul kam es dann zu weiteren russischen Forderungen, denen die Ukraine nicht zustimmen wollte: So sollte Russisch dort zur zweiten offiziellen Amtssprache und Klagen vor internationalen Gerichten fallen gelassen werden. Auch mit der Aufhebung der gegenseitigen Sanktionen und dem Verbot von Faschismus und Neonazismis konnten sich die Ukrainer dann am Ende doch nicht abfinden.