Gestern, Sonntag, waren die Südtiroler aufgerufen, einen neuen Landtag zu wählen. Dabei gab es erstmals auf deutscher Seite „italienische Verhältnisse“. Denn während früher nur wenige deutsche Parteien kandidierten und sich die italienischen Stimmen auf bis zu 18 Parteien und Gruppierungen aufsplitteten, war es dieses Mal auch auf deutscher Seite so: Neun Parteien rangen um die deutschen Stimmen.
Der tiefe Absturz der SVP
Stimmenstärkste Partei wurde die Südtiroler Volkspartei (SVP, Schwesterpartei der ÖVP) mit Landeshauptmann Arno Kompatscher. Doch sie musste erhebliche Verluste von 7,4 Prozentpunkten einfahren und kommt nur noch auf 34,5 Prozent der Stimmen. Ihr machte auch die quasi innerparteiliche Konkurrenz um die „Liste Widmann“, einem ehemaligen SVP-Politiker, Konkurrenz. Er sammelte die Stimmen aus der Wirtschaft, aber es reichte nur für ein einziges Mandat im Landtag.
Kompatscher ist der Landeshauptmann des Abbruchs, er demontiert die Volkspartei. 2018 verlor er nach 70 Jahren die absolute Mandatsmehrheit, nun sind nur mehr ein Drittel der Stimmen und Mandate für die SVP zu haben. Überlebt die SVP noch eine Legislaturperiode Kompatscher?
Aufsplitterung im Selbstbestimmungslager
Die Partei “Süd-Tiroler Freiheit” konnte dazu gewinnen. Sie kam bei 10,9 Prozent auf dem dritten Platz (2018: sechs Prozent) und zählt damit vier statt wie bisher zwei Mandate.
Doch die meisten Stimmen wanderten zum ehemaligen Obmann des einflussreichen Südtiroler Schützenbundes Jürgen Wirth Anderlan. Er sammelte mit kernigen und heimatbezogenen Stimmen auch viele mit der schwachen SVP-Politik gegenüber Rom zahlreiche Proteststimmen ein. Seine Liste kam auf Anhieb auf 5,9 Prozent und zwei Mandate. Insgesamt erreichte das Selbstbestimmungslager beachtliche acht Sitze im Landtag.
FPÖ unterstützte Südtiroler Freiheit und Wirth Anderlan
Wahlverlierer scheinen einmal mehr die Freiheitlichen (einst vergleichbar mit der FPÖ, jetzt eher wie ÖVP). Sie kommen aus der Krise nicht heraus und schafften gerade einmal 4,9 Prozent. Dabei werden sie mit den gleichen Abgeordneten im Landtag vertreten sein, es dürfte sich daran auch nichts ändern.
Während die FPÖ in Österreich von Erfolg zu Erfolg eilt, konnten Südtirols Freiheitliche nicht davon profitieren, weil sie aus persönlichen Eitelkeiten vor Jahren – noch vor Kickls Obmannschaft – die Kontakte zur FPÖ abgebrochen haben und es ihnen offenbar an Größe und politischer Klugheit sowie Weitsicht fehlt, sie wieder zu knüpfen.
FP-Chef Herbert Kickl unterstützte mit einem persönlichen Kurzvideo seinen Freund Wirth Anderlan, der den Corona-Widerstand in Österreich unterstützt hatte. Südtiroler Medien schrieben deshalb „Kickl geht fremd“. Die Wahrheit ist, dass in Wirklichkeit Südtirols Freiheitliche seit Jahren „fremdgehen“.
Mehr Lebendigkeit im Landtag
Renate Holzeisen, die in Corona-Zeiten populär wurde, weil sie die Radikalmaßnahmen kritisierte, konnte mit der Liste „Vita“, die zudem keine deutsche Liste ist, in den Landtag einziehen.
Mit Wirt Anderlans Liste und der Rechtsanwältin Renate Holzeisen werden drei Abgeordnete dem neuen Landtag angehören, die durch den Corona-Widerstand bekannt wurden und zur Wahl antraten. Das verspricht mehr Lebendigkeit im Landesparlament.
Tiefer Sturz vom einstigen Überraschungssieger
Anders die Grünen, die zwar offiziell weder deutsch noch italienisch sind, sich aber aus lauter Tiroler Gutmenschen zusammensetzen. Doch sie kommen nicht vom Fleck. Sie konnten etwas zulegen und ihr verlorenes drittes Mandat wiedergewinnen, mehr auch nicht.
Der Überraschungssieger von 2018, das „Team K“, eine mit den Neos vergleichbare Gruppierung, verlor deutlich auf 11,1 Prozent und kommt nur noch auf vier Mandate im Landtag. Ihr ehemaliger Parteifreund Josef Unterholzner setzte ihr mit seiner Partei „Enzian“ noch zusätzlich zu.
Italiener wenden sich von Lega ab
Auf italienischer Seite ist erwartungsgemäß die Lega zusammengebrochen. Statt bisher vier gibt es für sie nur mehr ein Mandat, und das für einen Neuling. Melonis Brüder Italiens (Fratelli d’Italia) konnte nur bedingt punkten und kommen auf zwei Mandate.
Neuer Schwung für Südtirol-Frage?
Die vergangenen 15 Jahre waren Jahre der verpassten Chancen, vor allem auch in der Südtirol- Politik. Die Voraussetzungen sind günstig, dass sich das nun ändern könnte und eine neue Kreativität auch in der Südtirol-Frage neue Wege gehen lässt.
Die Südtiroler Freiheit hatte auch Chancen verpasst, aber dann ihre Hausaufgaben gemacht und programmatisch reagiert. Das hat sich bezahlt gemacht. Dieser Schritt steht den Südtiroler Freiheitlichen noch bevor, wenn sie eine Zukunft haben wollen. Dort zeigte man sich im Wahlkampf sicher, alles richtig gemacht zu haben, und die Glaubwürdigkeitskrise, die die Partei seit 2013 plagt, erfolgreich überwunden zu haben. Die Südtiroler Wähler sehen das offensichtlich anders.